Bevölkerungsexperte Rainer Münz zeichnete scharfsinniges Bild der Migrationsdebatte
„Wir sollten froh sein über Leute, die in Österreich arbeiten wollen.“


Graz (6. Mai 2011). – Starkicker Ivica Vastic, Promigastronom Attila Dogudan, Ex-Telekom-Manager Boris Nemsic: Alle drei seien sie „erfolgreiche Wirtschaftsflüchtlinge”, die in Österreich höchstes Ansehen genießen. Ob eine philippinische Putzfrau auch die Anerkennung bekäme, die man den dreien entgegenbringe? – Mit diesem Gedanken eröffnete der renommierte Migrations- und Bevölkerungsexperte Rainer Münz seinen Vortrag bei der gestrigen (5.5.2011) Veranstaltung „Österreich braucht mehr Wirtschaftsflüchtlinge!?” in Graz und zeichnete damit ein scharfsinniges Stimmungsbild der österreichischen Migrationsdebatte, die durch die Aufhebung der Arbeitsbeschränkungen innerhalb der EU an erhöhter Aktualität gewann.
„Was für viele das Problem ist, halte ich für die Lösung”, erläuterte Münz, der von 2008 bis 2010 dem EU-„Weisenrat” angehörte, die titelgebende Frage. Denn die bevorstehende Pensionsantrittswelle der Babyboomer, der gleichzeitige Anstieg an Wegzügen ins Ausland und die sinkende Zuwanderung hätten zur Folge, dass die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter ohne Migration bald schrumpfen würde: „Bis zum Jahr 2050 um 70 Millionen.” Diese Entwicklung wiederum gefährde unser Sozialsystem, vor allem die Sicherung der Pensionen.
„Wir sollen froh sein über die Leute, die gern zu uns kommen und hier arbeiten wollen”, appellierte Münz eindringlich an die aufmerksame Zuhörerschaft. Das Problem sei, beeilte er sich hinzuzufügen, dass nur fünf von hundert Menschen aus dem Ausland Österreich als ihr Wunschzielland nennen. Anders als Australien, Kanada oder die USA biete Österreich keine Anreize für gut ausgebildete Menschen.
Österreich für Zuwanderer attraktiver machen
Münz' Aufforderung an die heimische Politik, Österreich für Zuwanderer attraktiver zu machen und das Potenzial seiner Migranten auszuschöpfen, pflichteten auch Caritas-Präsident Franz Küberl, Christian Friesl von der Industriellenvereinigung und Peter Riedler von der AVL List bei, die bei der anschließenden Podiumsdiskussion neben dem Migrationsexperten Platz nahmen. Friesl bedauerte die Scheu, dass man Zuwanderern nicht zutraue, sich integrieren und am hiesigen Arbeitsmarkt Fuß fassen zu können: „Es gibt Bereiche, in denen wir dringend Fachkräfte aus dem Ausland brauchen, vor allem bei Technikern und in der Pflege. Unsere Gesellschaft ist da aber sehr geschlossen und restriktiv.” Für Riedler, der die Öffnung des Arbeitsmarkts für EU-Oststaaten ausdrücklich begrüßte, scheitere eine gezielte Zuwanderungspolitik am „Bürokratiedschungel, den man überwinden muss, um in Österreich arbeiten zu können”. Küberl ergänzte: Die Überbürokratisierung gehöre abgeschafft, die Zuwanderungspolitik schlichter, knapper, übersichtlicher gestaltet.
In der ausgeprägten Angst vor Armut und Armen ortete der Caritas-Präsident die ablehnende Haltung vieler Österreicher gegenüber Migranten; am Ende der Veranstaltung, zu der die Akademie Graz und EuropeDirect Steiermark geladen hatten, ermutigte er die Teilnehmer zum Handeln: „Wir müssen raus aus der Opferrolle und Zuwanderern die Möglichkeit geben, in die Mitte der Gesellschaft zu rücken.”
Dr. Heidi Zikulnig von EuropeDirect wies noch auf die Hotline der Europa-Abteilung (Tel. 0316- 877 2200) zur Arbeitnehmerfreizügigkeit hin, die bis 13.5.2011 täglich von 8.30 bis 18 Uhr Auskunft zu diesem Thema gibt.
Cornelia Schlagbauer