Sklaverei und Menschenhandel - Auch heute ein kriminelles "Geschäft"!
Café Europa widmete sich der perfiden Form des Frauenhandels
"Wer glaubt, die Sklaverei sei abgeschafft, irrt!"

"Wer glaubt, die Sklaverei sei abgeschafft, irrt!". Das Katholische Bildungswerk lud in Kooperation mit europe direct Steiermark, Fachabteilung Europa und Außenbeziehungen des Landes Steiermark, zu einer Informationsveranstaltung zum Thema "Frauenhandel und Zwangsprostitution in Österreich". Das Medienzentrum in der Grazer Hofgasse war am Freitag, 7. Mai 2010 - trotz oder wegen? des nahen Muttertages - zum Großteil mit Frauen gefüllt; die männlichen Teilnehmer konnte man an den Fingern einer Hand abzählen.
Die Politwissenschafterin und Concordia-Publikationspreisträgerin Mary Kreutzer machte gemeinsam mit der Menschenrechtspreisträgerin Joana Adesuwa-Reiterer auf den Menschenhandel und eine seiner schlimmsten Ausformungen, die Zwangsprostitution, aufmerksam. "Menschenhandel liegt nach der Waffenschieberei und dem Drogengeschäft an der dritten Stelle der kriminellen Wirtschaftszweige", bestätigte auch Abteilungsinspektor Gerhard Bengesser vom Landeskriminalamt Steiermark. Menschenhandel in der heutigen Form führe auch in biedere Haushalte, wo etwa Äthiopierinnen oder Polinnen als Putzfrau dienen, oder in Fabriken, wo Hilfsarbeit unter unmenschlichen Bedingungen verrichtet werde, oder auch in die Landwirtschaft. "Die Sklaverei ist nicht abgeschafft, sie ist aktueller denn je!", waren sich die Teilnehmerinnen im Saal und im internet einig - die Strategien gegen diesen Menschenhandel müssen massiv verstärkt werden.
Zwangsprostitution - Das Klischee

So sieht das Klischee aus: Ein Hüttendorf in Nigerien. Einige Hundertschaften Erwachsener und noch einmal so viele Kinder. Der tägliche Kampf um‘s Essen ist noch genau so wenig ausgekämpft wie der gegen den Durst. Eine 13jährige zittert trotz des heißen Tages vor Angst. Sie starrt den großen, den mächtigen Juju-Zauberer an. Seine riesenhafte Maske schüchtert das Mädchen ein, es wagt kein Wort. Zu groß ist der Respekt vor den magischen Kräften, um sich gegen die Rasur zu wehren. Die Scham-haare kommen in den Mörser, wo sich schon ein Büschel ihrer Kopfhaare, Fingernagelschnipsel und Regelblut gegen den heißen Steppenwind wehren. Sie weiß von ihrer Mutter, was mit dem Inhalt des Mörsers geschehen wird - er wird, vermengt mit denen anderer auserwählter junger Frauen, zu Pulver zermahlen. Und der Tag ist ganz nahe, an dem alle Mädchen vor dem Juju-Priester einen Schwur "auf ihr Pulver" ablegen müssen. Einen Schwur, der sie an ihre zukünftigen Peiniger bindet, verbrecherische Menschenhändler, die nur nach Geld gieren. Einen Schwur, der sie nach Europa begleitet und an die Freundinnen kettet, ja, voneinander abhängig macht. Sie schwört beim Leben ihrer Eltern und ihrer Geschwister und bei ihrem eigenen, dem Menschenhändler jederzeit zu dienen, alle seine Anweisungen zu befolgen, und vor allem: Geld zurückzuzahlen, das eine Madame für sie ausgeben wird. Bereit stellen für ihre Reise in das vermeintliche Paradies Europa. Dort nämlich werde sie in einem prachtvollen Haus arbeiten als Kindermädchen und so viel verdienen, dass es ihrer Familie gut gehen würde. Die Juju-Religion ist tief in der nigerianischen Kultur verwurzelt und somit ist der Bann für die Frauen Gesetz. Der Weg von Nigerien nach Europa ist lang und führt meist durch die Sahara - Fliegen ist seit 9/11 nicht mehr so leicht.
Sieht so das Klischee aus, oder kommt es doch der Wahrheit nahe?
Zwangsprostitution - die Realität
Viele der Frauen wissen nicht, wohin die Reise geht. Kellnerin in der Schweiz, Haushaltshilfe in Paris oder Wien - das wird vorgegaukelt. Das Mädchen sagt ja, die Mutter auch - Schlimmer als hier in Nigerien kann‘s ja nicht werden - und dann geht man zum Juju-Priester oder einem von der Pfingstkirche und wenn die nicht greifbar sind, dann eben zum "Notar", um dort den Schwur abzulegen, einen Vertrag zu unterschreiben. Der Juju-Dorfzauberer nimmt dem Mädchen den Eid ab, das Geld zurückzuzahlen und niemals mit der Polizei in dem fremden Land zu sprechen. Derart eingeschüchtert und meist mit dem Willen der Eltern macht sie sich auf den Weg.
Und spätestens in der Sahara beginnen die Leiden, „die Mädchen werden 'hergerichtet', wie es im Prostituiertenmilieu heißt", erzählte Gerhard Bengesser, Abteilungsinspektor der Kriminalpolizei in Graz, bei der Enquete zum Thema „Frauenhandel und Zwangsprostitution in Österreich", in deren Mittelpunkt die Politikwissenschafterin Mary Kreutzer und die Menschenrechtspreisträgerin Joana Adesuwa Reiterer standen. Beide sind als Schriftstellerinnen tätig und engagieren sich gegen diese globale Form der Krimi-nalität. Für das Buch "Ware Frau" wurde vor Ort in Nigeria recherchiert - und das oben geschilderte Klischee in brutaler Weise bestätigt - die Wirklichkeit übertrifft an Grausamkeit das Klischee bei weitem.
Die Süd-Nord-Durchquerung der Sahara kann ein Jahr oder länger dauern. Hier passieren die ersten tätlichen Übergriffe, Vergewaltigungen, es kommt immer wieder zu Abtreibungen, die so manche junge Frau nicht überlebt. Der Tod hält Ernte, auch Nachts, wenn die Sahara bitterkalt wird. Erfrierungstod in der Wüste. Auch so kann eine glorreiche Zukunft enden.
Joana Adesuwa Reiterer, Gründerin des Vereines "Exit"
http://www.adesuwainitiatives.org/page/index.php?id=6&L=1
Joana Aldesuwa-Reiterer selbst war mit dem Mafia-System in Berührung gekommen. Ihr nigeria-nischer Ex-Ehemann hatte sie überredet, mit ihm nach Wien zu gehen, wo sie "nach und nach be-merkte, dass er Menschenhändler war." Joana habe er zu einer "Madame" machen wollen, doch die junge Frau weigerte sich und ergriff die Flucht. Als ihr bewusst wurde, wie viele Mädchen aus Nigeria in die Fänge der Menschenhändler geraten, beschloss sie, aktiv etwas gegen das gewaltige Unrecht zu unternehmen: Sie gründete den Verein Exit mit dem Ziel, Nigerianerinnen vor der Straßenstrich-Mafia zu warnen. Die Journalistinnen Mary Kreutzer und Corinna Milborn unterstützte sie bei ihren Recherchen und stellte Kontakte zu betroffenen Frauen her.
Der Verein "Exit" mit Sitz in Wien unterstützt Frauen, die von Menschenhandel und Zwangsprostitution betroffen sind. Der Verein verfolgt das Ziel, Afrikanerinnen vor der Zwangsprostitution in Europa zu be-wahren und sie bei der Integration zu unterstützen. Der Verein bekommt keine öffentlichen Mittel und seine Hilfsangebote stellen sich allzu oft als ein aussichtsloser Kampf gegen die Windmühlen der Büro-kratie heraus: „Viele Frauen kennen die Angebote nicht, sie wissen nicht Bescheid über ihre Rechte", beklagt sie die zu geringen Möglichkeiten effizienter PR-Arbeit. Das sei das eine. Die andere Seite sei die Ignoranz so vieler in den Behörden: "Dort geht es allzu oft nicht darum, den misshandelten Frauen zu helfen, sondern ausschließlich, sie abzuschieben." Und zuhause drohe häufig das Schlimmste.
Ja, es gäbe Mädchen, die im Bewusstsein dessen, was sie erwartet nach Wien kämen, oder auch nach Klagenfurt oder Graz. Das aber sei die Minderheit, und von den rund 40.000 bis 100.000 Frauen, die derzeit überall in Europa am Straßenstrich oder in Bordellen mit Sexarbeit Geld verdienen, das sie bei einer knallharten Madame und bei brutalen "black boyz" abliefern müssen, sei der Großteil eben eine Sklavin. Gekauft, geschändet, ausgenutzt, sonst nichts. Jede "Madame" greift auf einen ganzen Stab an Helfern zurück: In Afrika sorgen brutale Rekrutierer für den Nachschub an Mädchen (und immer häufiger auch an jungen Männern!), es werden die Dokumente besorgt - manchmal in „Schein-botschaften", die nichts anderes sind als gute Fälscherwerkstätten, manchmal aber auch bei korrupten Konsuln - und eigene Helfer bedrohen, wenn nötig, Eltern und Geschwister der Mädchen.
Weitere Infos: www.ngo-exit.com (English and German / In deutscher und englischer Sprache)
Botschafterin Dr. Elisabeth Tichy-Fisslberger: Viele Betroffene kommen aus der EU!
Botschafterin Dr. Elisabeth Tichy-Fisslberger, Vorsitzende der Task Force der Österreichischen Bundesregierung gegen den Menschenhandel: „Es ist nicht nur der Zuzug aus Afrika, der uns zunehmend Sorgen macht. Es gibt nach wie vor starke Ströme aus dem Osten. Leider funktionieren deren Netze immer perfider. Angesichts der knapper werdenden Budgetmittel muss man an die Zivilgesellschaft appellieren - schauen Sie bitte nicht weg, wenn Ihnen etwas auffällt. Wir kooperieren mit UNO und OSZE, mit zahlreichen NGOs und internationalen Organisationen, um der heutigen Form der Sklaverei beizukommen. Dabei geht es uns um alle Betroffenen - 50 Prozent kommen aus der EU! Und der Anteil der betroffenen Männer werde immer höher. Deshalb ist eine Männerberatung wichtig und notwendig!"
Laut einer aktuellen Studie der „International Labour Organisation" (ILO) werden jährlich 2,4 Millionen Menschen Opfer von Menschenhandel. Menschenhandel entwickelt sich verstärkt zu einer der gewinnbringendsten Formen des organisierten Verbrechens. Weiterführende Infos über die Homepage des Außenministeriums:
Engagement der Politik von Brüssel bis Graz
Martina Schröck, Abgeordnete zum Landtag Steiermark:
„Menschenhandel ist ein Verbrechen und dieser Mißstand ist ein politischer - es geht ja nicht an, dass dieses Thema gleichsam unsichtbar bleibt, die Opfer ebenso und auch die Täter. Die Zivilgesellschaft hat hier noch sehr viel zu tun!"
http://ltk.kcom.at/klub/landtagsabgeordnete/013_land
Sissy Potzinger, Grazer Gemeinderätin:
„Das ist ein Unrechtsgeschäft! Ich bin erschüttert, wie grausam - auch in Österreich - mit dem Wunder Mensch umgegangen wird!"
http://potzinger.grazervp.at/weblog
Ulrike Lunacek, Europasprecherin der Grünen (per Videobotschaft):
„Die Europäische Union hat eine Richtlinie gegen Frauenhandel erarbeitet, die in allen 27 EU-Staaten verbindlich angewendet werden soll."
„Es muss aber auch das Recht auf selbstbestimmtes Leben gewährleistet sein."
"Wir müssen eine Revolution entfachen!"
Ulrike Seyfert, designierte Geschäftsführerin von Mafalda:
„Wir wollen mit dieser Veranstaltung gegen die Duldung von Menschenhandel und Sklaverei aufrufen, wir wollen eine Revolution entfachen gegen die Ignoranz so vieler!
Die vorhandenen Initiativen sind nicht ausreichend, es muss in Österreich, es muss europa- und weltweit mehr geschehen gegen diese barbarischen Verbrechen.
So lange sich nichts ändert, sind wir alle Täter durch Mitwisserschaft und Nichtstun!"
Verein MAFALDA in Graz: www.mafalda.at
Gerhard Bengesser, Abteilungsinspektor des Landeskriminalamtes Steiermark:
„In Österreich funktioniert die Zusammenarbeit zwischen Landeskriminalämtern, Fremdenpolizei und Staatsanwaltschaft im Großen und Ganzen gut. Es ist aber ein globales Problem, und das erfordert die Kooperation über die Grenzen hinweg. Als hinderlich stellt sich schon in Österreich das Kompetenzsplitting heraus - so haben wir neun verschiedene Prostitutionsgesetze, für jedes Bundesland eines."
www.bundespolizei.gv.at/organisation/result.aspx?master=steiermark&parent=6043
Anneliese Rohrer, Journalistin:
„Gemeinsam mit meiner Tochter Katharina haben wir fünf Jahre in der Ukraine recherchiert. Daraus entstand „Fatal Promises", ein Film, der nunmehr in den USA vertrieben wird. Menschenhandel ist global und hängt leider von der Nachfrage ab. Da geht es nicht nur um die sogenannte Sexarbeit, es geht auch um Putzfrauen, um Hilfsarbeiten in Fabriken und Landwirtschaften. Und es geht um Aufklärung - die Zivilgesellschaft sieht ja die Opfer nicht!"
„Ich wünsche mir einen Aufsehen erregenden Prozess gegen einige dieser skrupellosen Menschenhändler!"
Evelyn Propst, Geschäftsführerin von LEFÖ
„Seit April gibt es auch in Österreich den Opferschutz. Allerdings müssen sich Betroffene innerhalb von 30 Tagen entscheiden, und das ist angesichts der Traumata, unter denen sie vielfach leiden, einfach zu wenig. Diese Frist muss auf sechs Monate ausgedehnt werden! Wir vertreten ausgebeutete Frauen aus Äthiopien, die in Haushalten Sklavenarbeit verrichten müssen genauso wie Prostituierte aus aller Welt."
„Wir vermuten und glauben das in manchen Fällen auch beweisen zu können, dass in Afrika, Asien und in Osteruropa, Visa an Menschenhändler verkauft werden!"
„Die Strafen für Menschenhändler sind zu gering - vier Jahre Haft ist keine Abschreckung!"
Verein LEFÖ - Beratung, Bildung und Begleitung für Migrantinnen: www.lefoe.at
Mary Kreuzer, Journalistin und Concordia-Publikationspreisträgerin:
„In Österreich ist es ein Skandal, dass Aslwerberinnen keinen Zugang zum Arbeitsmarkt haben, es sei denn, sie arbeiten als Selbständige. Es ist ein ebenso großer Skandal, dass eine allgemeine Grundhaltung erlaubt, den herrschenden Rassismus als Waffe der Menschenhändler einzusetzen. Es ist ein Skandal, dass Mädchen vom Straßenstrich keine Möglichkeit zu einem sinnvollen Umstieg haben und es ist ein Skandal, dass die Innenministerin die Schubhaft gleichsam monopolisiert einem einzigen Verein übertragen hat! Für mich ist diese Ministerin längst rücktrittsreif!"
Buchtipp Mary Kreutzer und Corinna Milborn: Ware Frau. Auf den Spuren moderner Sklaverei von Afrika nach Europa. - Salzburg: Ecowin Verlag, 240 Seiten. ISBN: 978-3-902404-57-2
www.ecowin.at/Ware_Frau.185.0.html?&tx_jppageteaser_pi1[backId]=26
Edith Pfeifer, Caritas der Diözese Graz-Seckau:
„Wir sensibilisieren unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter - es geht immer um schnelles Erkennen und Handeln!"
„In Osteuropa explodiert die Zahl der sozialen Waisen, Kinder, die von ihren Eltern allein gelassen werden - hier tun sich für die Sklavenhändler Hunderte von neuen Andockstationen auf!"
Sr. Silke Mallmann, Caritas Kärnten:
"Das Projekt Talitha ist an der Schnittstelle des Frauenhandels von Afrika nach Europa, von Albanien in unsere Breitengrade und von Osteuropa nach Italien, immer wieder Anlaufstelle für Betroffene in Kärnten."
Das Café Europa wurde live im internet übertragen. Als Moderatorinnen fungierten Claudia Unger, Geschäftsführerin des Afro-Asiatischen Instituts in Graz und Ulrike Seyfert, designierte Geschäftsführerin von Mafalda.