Wenn die EU zum Bürger kommt ... Diskussion mit Viviane Reding und Michael Spendelegger
EU-Townhall-Meeting in der Alten Universität Graz

=> Live-Mitschnitt auf videoportal.steiermark.at
Graz (06.11.2012) - Was bewegt Steirerinnen und Steirer, wenn Viviane Reding, die Vizepräsidentin der Europäische Kommission, gemeinsam mit Vizekanzler Michael Spindelegger, hier in seiner Funktion als Europa- und Außenminister zu einem "Townhall-Meeting" einladen? Gleich vorweg: Das Spektrum ist vielfältig. Dies zeigte die konzentrierte Atmosphäre in der bis zum letzten Platz besetzten Aula der Alten Universität in Graz, wo am Montagabend (5.11.2012) dieses Treffen zwischen Politik und Bürgern stattfand.
Eineinhalb Stunden lang stellten sich Reding und Spindelegger den Fragen des Publikums, mit Simultandolmetsch und Livestream wurde die Veranstaltung weltweit im Internet übertragen. Die Fragen reichten von der griechischen Pleite über die Finanztransaktionssteuer und die Bankenaufsicht bis hin zu Jugendarbeitslosigkeit und den Ausstieg aus der Eurozone. Die gesammelten Vorschläge aus dem EU-Dialog will Reding in einem Bürgerbericht zusammenfassen, der sich dann auch in konkreten neuen Gesetzen wiederfinden soll.
Neben den zahlreichen Wortmeldungen aus dem Publikum wurden auch Fragen über Twitter, Facebook und die Homepage des Veranstalters gestellt. Klare Position bezog Reding dabei nicht nur beim Grexit: „Solidarität geht nicht ohne Solidität", und dass es keinen Plan B gebe, sollte das Sparpaket abgelehnt werden.
Die „Dauerbrenner" standen schon zu Beginn fest: Griechenland und Wirtschaftskrise. Darüber hinaus war die Jugendarbeitslosigkeit Diskussionsthema, wobei laut Reding die Zahl der beschäftigungslosen Jugendlichen in Österreich im Europavergleich gering sei. In Krisenzeiten sei es umso wichtiger und dringlicher, in Bildung und Forschung zu investieren, stellte sie klar.
Wirtschaftslandesrat Christian Buchmann meldete sich mit konkreten Steiermark-Zahlen zu Wort. So wurde im Auftrag des Europaressorts genau untersucht, welche Mittel die Steiermark seit dem EU-Beitritt erhalten hat: Stolze 2,2 Mrd. Euro! "Die Zahl der Beschäftigten ist um fast 70.000 gestiegen. Zwei Drittel davon ist als Folge des Beitritts zu betrachten", sagte er.
Konfektionsgrößen als Kernthema
"Wenn in Brüssel alles geregelt wird, warum fehlen dann die Dinge, die uns am nächsten sind", wunderte sich ein Teilnehmer und verwies auf die nationalen Unterschiede bei Konfektionsgrößen. Reding outete sich als Befürworterin des Unterschieds und legte ein klares Bekenntnis zur Vielfalt ab. Darin unterscheide sich Europa von den USA: "Wir wollen keinen Einheitsbrei, wir wollen eine Gemeinschaft der Vielfalt in der Einheit, die politisch gemeinsam agiert."
Vom Vorwurf, mit Sparvorgaben die Verelendung von Ländern in Kauf zu nehmen, bis zur Forderung nach Vereinheitlichung der Konfektionsgrößen und der Abschaffung der Sommerzeit - beim Townhall Meeting in Graz sollten Kommissions-Vizepräsidenten Viviane Reding und Vizekanzler Außenminister Michael Spindelegger (V) Antworten auf unterschiedlichste Fragen geben. Das Format, mit der Basis in Kontakt zu treten, ist neu - und es suchte in Graz noch seine Linie.
Die Transaktionssteuer sei sinnvoll, auch wenn Großbritannien nicht mitmache, mit elf Staaten habe man eine kritische Masse erreicht, die sie 2014 umsetzen wird, erklärte Spindelegger. Angesprochen wurde auch die Direktwahl des Präsidenten oder der Präsidentin, wo Reding zu bedenken gab, dass dies für die meisten EU-Länder eine Umstellung auf das präsidiale System bedeuten würde.
EU-Kommissarin Viviane Reding erhofft sich von Veranstaltungen wie jener in Graz möglichst viele Anregungen: „Wir müssen ja lernen von dem, was uns die Bürger sagen, von ihren Sorgen, ihrem Ärger, aber auch ihren Zukunftsvisionen, und die dann einbauen in unsere politische Arbeit, darum geht es."
„Europa beginnt in der Gemeinde"
„Europa beginnt in der Gemeinde" lautet ein Slogan des EU-Dialogs - was also kann Europa im konkreten Fall von der Steiermark lernen? „Was Europa lernen kann ist, dass hier eine Gemeinschaft funktioniert und auch reformfähig ist. Man muss nicht immer glauben, dass alles neu erfunden werden muss - man kann sich auch einfach Best-Practice-Beispiele anschauen", sagt Außenminister Michael Spindelegger, der auch nach der Abreise des EU-Trosses weiter den direkten Draht zu den Bürgern suchen will - eine Diskussionsserie soll ihn abwechselnd mit dem Staatssekretär Reinhold Lopatka (ÖVP) in Unternehmen führen, wo man dann mit den Beschäftigten in Dialog treten will.